• Akademischer Segler-Verein zu Rostock e.V.,Uferpromenade 1, 18147 Rostock

Ein erfüllter Traum!

Atlantikfahrt des PvD — Columbus-Race 1992
Jungfernfahrt mit einem Ossi
1. Etappe Kiel — Cadiz (01.04. - 28.04.1992)

Crew:

  • Heiner von Maydell (Schipper)
  • Doris von Maydell (Wachführer)
  • Carsten Banse (Wachführer)
  • Martin Friedrichs (Wachführer / bis Falmouth)
  • Guntram Seiß (Wachführer)
  • Annette Köhler
  • Helen Pfuhl
  • Nils Reimann (Navigator)
  • Ansgar Chorhummel (Bootsmann)
  • Knut Riggert
  • Bernd Lange (Gast vom ASV zu Rostock / Berichterstatter)

Die Vorgeschichte begann mit und auf dem alten "Peter" in Rostock zu Ostern 1990 und der ersten "Beschnupperung" zwischen den gestandenen ASV`ern aus Kiel und den Anwärtern aus Rostock wenige Wochen zuvor. Dort lernte ich den Schiffer kennen und die Aussicht auf stets erträumte aber nie erhoffte Reisemöglichkeiten in die "große, weite Welt".

Ja, und dann kam sie, die Einladung zu einem Traum. Und ich bin noch heute froh darüber, dass so mancher andere Bewerber nicht alles daran setzte, ihn zu erleben.
Und, wo begann er, dieser erlebte Traum?
Als sich die Schleusen öffneten in Holtenau, um uns in den Nord-Ostsee-Kanal einzulassen oder die in Brunsbüttel, um uns hinauszulassen in die endlose Weite? Kann ein "Wessi" das nachempfinden, dass sich nochmals eine Grenze öffnete? Ich habe sie bewusst überschritten mit einer Erwartung, etwas Neues zu erleben, jeden Tag und jede Stunde.
Die Nordsee empfing uns mit einem Sonnenstrahl, nach den nasskalten Märztagen auf der Kieler Förde wie ein hoffnungsvoller Fingerzeig auf sonnige südliche Breiten.
Vor diesem Moment des Sichlösens innerer Angespanntheit lagen viele Stunden angestrengter Vorbereitungsarbeit für die Mitglieder der Crew und die vielen Helfer im ASV. Noch in Cadiz wurde des Schiffers kleines Notizbüchlein Ausgangspunkt emsiger Aktivitäten zur Behebung letzter Mängel an Boot und Ausrüstung. Nichts Außergewöhnliches, schließlich war man auf Jungfernfahrt, irgendwann wird man begeistert von den Eigenschaften einer in die Jahre kommenden "Dame" sprechen und sich gern an ihre "Macken" in frühster Jugend erinnern.
Soll ich nun verschweigen, was uns stundenlang beschäftigte und meiner Ansicht nach die Würze dieses Abenteuers wurde? Als Deutscher mit einschlägiger Erfahrung im Umgang mit "Unzulänglichkeiten" fühlte ich mich an Bord von Anfang an wohl. "Guck an, die kochen auch nur mit Wasser!" - mein Selbstvertrauen hatte spätestens nach dem Schraubenzieherstart des Mercedes-Benz-Motors bei etwas ruppiger See in der Emsmündung wieder das Normalniveau erreicht. Nicht so gut kam diese Improvisationsfähigkeit beim Schipper an, nachdem ich in der Biskaya mit Tape-Streifen die ewig schlagenden Schapptüren am ruhestörenden Lärmen hinderte. Nun ja, auf einem 1,5-Millionen-Schiff sollte man wirklich nicht zu solchen profanen Mitteln greifen! Ob ich diesen Lapsus durch meinen "innovativen" Beitrag bei der Behebung des Ruderschadens in Puerto Sherry wieder wettgemacht habe? Ich hoffe es.

Also, diese Havarie gehört unbedingt in die Chronik dieser sicher denkwürdigen Peter-Reise, ebenso wohl unsere Erfahrungen auf dem "stillen Örtchen", für mich ein neuer, ungewohnter aber willkommener Komfort. Dazu einige Ausschnitte aus Briefen in die Heimat:

" ...Heute nun vor der Isle of Weight werden wir durch die ersten richtig warmen Sonnenstrahlen verwöhnt, alle Luken sind auf, damit die Feuchtigkeit aus dem Inneren herauskann. Durch das Schiff ziehen leckere Düfte, in wenigen Minuten wird Ansgar das Mittag auf die Back bringen. Seitdem wir Dover hinter uns haben, haben sich nun auch die letzten an das Schaukeln gewöhnt. Es wird mit Appetit und auch reichlich gegessen. Danach haben fast alle - gestern kam es ans Tageslicht und ich glaubte erst, ich würde mich als Ossi zu dämlich anstellen - Probleme mit unserem Vakuum-Klo. Eigentlich hätte mich unser riesiger Klopapierverbrauch darauf hinweisen müssen, dass auch die anderen nach dem "Geschäft" auf den Knien vor dieser "Schüssel" liegen, um die wie durch eine Explosion total verschmutzte Brille und den Deckel wieder zu säubern. Ja..., aber ein Fortschritt ist es trotzdem!"

Also, lieber Leser, sofern Du mal eine Reise auf dem Peter planst, lass Dich von den Insidern in die Geheimnisse dieser Technik einweihen! Eines ist gewiss, nach der Bedienanleitung darf man nicht vorgehen, jedenfalls nicht, wenn man ebenso gut gegessen hat. Doch weiter im Bericht!

" ...Du wirst sicher gespannt sein, warum es uns jetzt schon nach Puerto Sherry verschlagen hat. Wir mussten Cadiz als Nothafen anlaufen. In unserer Wache genau um 18.15 Uhr geschah es - im Hochgenuss atlantischer Seesegelei. Kurz zuvor umspielte noch eine Herde Delphine unser Schiff bei einer berauschenden Fahrt mit achterlichem Wind. Ich hatte den bisherigen Geschwindigkeitsrekord wenig zuvor auf 14,5 kn hochgeschraubt (was allgemein bejubelt wurde, da nur mit Groß und Genua 3 bei ca. 7 Bft erzielt) und wollte unter Deck eine heiße Schokolade genießen, da legte eine etwas größere Welle den PvD auf die Seite und Carsten mit seinen Kräften versuchte gegenzusteuern. Dabei passierte es, eine Führungsrolle des Steuerseilzuges unterhalb der Steuersäule riss von der Grundplatte ab - wieder einmal "all hands!".
Aber wir sind ja nun schon ein eingespieltes Team. Innerhalb weniger Augenblicke war das Großsegel geborgen, die Notpinne montiert und mit dieser sind wir dann die "restlichen" 150 Seemeilen erst mit Fock und später bei abnehmenden Wind wieder mit voller Segelfläche nach Cadiz mal mit 10, mal mit 0,5 kn gesegelt, am besten ganz leger an die Heckreling gelehnt mit den Füßen an der 1 m langen Pinne steuernd (und heiße Schokolade schlürfend!). Es war natürlich wieder ein Erlebnis, und die Stimmung war bald erneut recht ausgelassen..."

Begonnen hatte unsere "work and fun-tour" mit emsigen Bootsbauerrestarbeiten in Kiel (ein Dankeschön an Gustav!) und noch im NOK, mit erforderlichen Arbeiten an der Ruderanlage auf der Bauwerft in Emden. Sie fand ihre Fortsetzung beim Auswechseln eines Netzteils der Bordelektronik nach einem durch Seewasser in der Navy (!) verursachten Black-out und der geplanten Reparatur des hydraulischen Achterstagspanners in Falmouth, dem kühnen Aufentern Carstens auf hoher See bei rauschender Fahrt im portugiesischen Norder in den 21 Meter "entfernten" Masttopp, nachdem an Deck ein verdächtiger Aufprall zu hören war - eine Führungsrolle des Spinnakerfalls hatte sich verabschiedet, bei der Gelegenheit brachte er auch gleich die Windlupe mit an Deck (Halterung gerissen) und last not least mit dem Einscheren einer Hilfsdirk, um die lädierte Halterung des Großbaumniederholers reparieren zu können. Guntram wird sich ebenfalls noch lange an seine handwerklichen Aktivitäten zur Klarierung des Spinnakergeschirrs erinnern, der dicke Achterholer war eben unseren Rekordversuchen und dem "Manövertraining" (siehe all-hands vor Vigo!) nicht gewachsen. Nun, ich hatte es ja schon eingangs angedeutet, Heiners Notizbüchlein sollte man an einem würdigen Platz im ASV archivieren.

Doch jetzt zur fun-tour, kritische Leser könnten sonst einen falschen Eindruck von dieser Jungfernreise gewinnen. Ich glaube, ich kann ruhigen Gewissens im Namen der gesamten Crew von einer schönen, erlebnisreichen und vergnüglichen ersten Etappe der Amerikareise sprechen. Die guten Wünsche der am 1. April an der Kiellinie so zahlreich erschienenen ASV'er zur Verabschiedung des neuen Flaggschiffes und seiner Mannschaft geleiteten uns sicher über die Nordsee, durch den Kanal nach Falmouth, über die Biskaya nach Vigo, Leixóes, Porto, Lissabon, Puerto Sherry, Gibraltar und schließlich nach Cadiz. Ich denke, dass weitere Briefausschnitte am besten die Stimmung an Bord wiedergeben werden:

" Biskaya, ca. 95 sm nördlich von La Coruna;
Montag, den 13. April 1992
Es ist 16.30 Uhr, wir haben gerade unsere Kaffee-/Tee-/Schokoladenzeit hinter uns gebracht, die Sonne strahlt. Der Atlantik, hier schon über 4000 m tief, wiegt uns auf mitunter beachtenswerten Wellen in grau-grün-blauer Farbe (je nach Lichteinfall). Ein südöstlicher Wind, langsam zunehmend auf gut 6 Bft, lässt uns mit meist über 10 kn Fahrt unserem Ziel entgegenjagen. Ein kleiner roter Frachter neben uns, "Marmaid" heißt er, hat Mühe, an uns vorbeizukommen. Obwohl er nur 200 m neben uns läuft, verschwindet er ab und zu vollständig hinter den majestätischen Wellenbergen. Manche mögen gut 5 - 6 m hoch sein, der PvD gleitet jedoch gut darüber hinweg, nur leichtes Spritzwasser gelangt hin und wieder an Deck. Es herrscht also herrliches Segelwetter.
Etwa 15 sm neben uns an Bb liegt ein riesiger, steiler Unterwasserberg, wahrscheinlich ein Vulkan, der aus gut 4500 m Wassertiefe rund 1600 m aufragt. 2916 m tief ist dort der Atlantik. Es gibt noch mehrere solcher Berge - und zu sehen ist nichts, nur eine unendliche Wasserwüste, manchmal ein Schiff und nun bereits häufiger wieder Möwen.
Seit über 2 Tagen sind wir nun schon unterwegs, 372 sm haben wir seit Falmouth zurückgelegt und nur noch 160 sm bleiben uns bis Vigo. Die Zeit ist wieder schnell vergangen, um 14.50 Uhr haben wir Falmouth am Sonnabend verlassen. Als ob uns Rasmus den Abschied leicht machen wollte, schickte er Regen, schlechte Sicht und einen nasskalten Wind, so dass sich alle an Bord auf den sonnigen Süden freuten.

Ich habe mein Amt als Smutje angetreten, vier Tage lang ein ziemlich harter Job. Wie ich es bei dieser Schaukelei fertig brachte, 10 Kotelett zu braten und zusammen mit Kartoffeln, Mischgemüse und Erdbeerkompott auf die schlingernde, schrägliegende Back zu bringen und abends dann noch ein Pilz-Omelett aus frischen Champignons, ist mir heute nun kein Rätsel mehr.
Heute habe ich mich an dieses Auf und Ab, Hin und Her gewöhnt, aber am Sonnabendabend war mir richtig schlecht und ohne Pille hätte ich bestimmt geopfert. Auch am Sonntag habe ich das Mittag, Serbischer Bohnentopf mit saurer Sahne und Pfirsischkompott, nur mit einer Stutgeronpille aufrecht überstanden. Stundenlang keinen ruhenden Horizont vor Augen zu haben, das ist wohl das Problem, dazu noch das krampfhafte Haltsuchen, Abstützen und die Küchendüfte.
Nun, ich denke, ich bin damit durch!
Heute haben meine 9 Crewmitglieder feinstes Dörner-Ragout fin, Curryreis und geraspelten Möhrensalat erhalten. Zum Frühstück gab es weichgekochte Eier (das konservierende Silikonfett ist vielleicht ein Glibberkram!), Tee, Kaffee, heiße Schokolade, 6 verschiedene Konfitüren, Honig, 3 Käse- und 3 Wurstsorten, mehrere Fischkonserven (roter "hower"!), 2 verschiedene Müsli. Zwischen den Mahlzeiten, 19.00 Uhr gibt es Abendbrot, wird gelesen, geschlafen, geklönt und genascht. Hierfür gibt es eine riesige Auswahl im "Sweety-Schapp". Also, leben kann man hier wie "Gott in Frankreich"!
An meiner krakeligen Schrift kannst Du sicher erkennen, dass die Bootsbewegungen wieder unkontrollierbarer werden. Durch ständige langsame Winddrehung auf östliche Richtungen überlagern sich jetzt mehrere Wellenrichtungen, der Wind kommt von Bb, die Hauptwelle von Stb. Es ist kurz vor 18.00 Uhr, also Zeit für mich, ans Abendbrot zu denken. Neben mir sitzen Guntram und Heiner und werten die aktuelle Wetterkarte aus, die vor rund einer Stunde durch den Wetterkartenschreiber, mit dem der PvD ausgerüstet ist, ausgedruckt wurde. Wir können alle froh sein, schon so weit südlich zu sein, vor Englands Küsten herrscht momentan ja ein richtig stürmisches Wetter mit 9 - 10 Bft Windstärke.

14.04.1992
Wir haben es geschafft. Wir haben die Biskaya hinter uns. Nun kreuzen wir unter vollem Groß, Fock und Klüver 2 bei südwestlichen Winden (3 - 4 Bft) an der spanischen Küste entlang nach Süden. Bald werden wir das berühmt-berüchtigte Kap Finisterre passieren. Die Küste ist beeindruckend, stark zerklüftet, steile Felsen und Klippen ragen aus der See, die 20 m-Tiefenlinie verläuft in unmittelbarer Ufernähe. Im Hintergrund steigt das Land, durch Täler, Hügel und Flussläufe ebenfalls reich gestaltet, auf Höhen bis 600 m an. Der Himmel ist strahlend blau, aber es ist noch kalt. In der Nacht haben wir viele Fischer passiert, die mit starken Scheinwerfern weit draußen auf See fischten. Jetzt kreuzen wir zwischen kleinen offenen, meist rot-weißen Fischerbooten, von denen aus Netze eingeholt werden. Alle an Bord haben eine erwartungsvolle, lockere Stimmung. Noch ca. 7 Stunden, dann werden wir wohl in Vigo sein. Für die meisten ist das ebenso neu wie für mich, nur Heiner und "Scholzi" (Carsten) waren schon dort, mit dem alten Peter.

Heute ist mein letzter Smutje-Tag. Mein Einsatz gestern zum Abendessen wurde in das "große blaue Buch" (Logbuch) eingetragen. Trotz dieses "Affentanzes" habe ich es fertiggebracht, Hawaii-Toast im Backofen zuzubereiten. Es war ziemlich beschwerlich, mir flogen laufend Küchengerätschaften um die Ohren, aber irgendwie hat dieser Leckerbissen zur Hebung der langsam skeptisch werdenden Stimmung (die Wetternachrichten vom Norden verhießen ja nichts Gutes) beigetragen.
Wieder sind 3 Stunden vergangen und mit ihnen der Sonnenschein, die Küste ist hinter Regenwolken fast verschwunden, hier draußen regnet es aber noch nicht, nur der Wind hat zugenommen. Unter mir in Lee sitzt Knut und schreibt in seinem Tagebuch. Ich bin froh, dass ich das Mittagessen überstanden habe. Es gab Rouladen, Makkaroni, leckeres Apfelrotkraut und als Nachtisch Birnenkompott, mit Schlagsahne und Schokostreusel garniert. Die 8 - 12.00 - Wache (Doris, Anette und Heiner) haben ebenfalls schon ihren Backschaftsdienst hinter sich. Das ist das Positive am Job des Smutjes - man braucht nur für das Essen sorgen, aufräumen muss die Mannschaft!
Soeben habe ich meinen Platz gewechselt, ich sitze nun auch in Lee, an meiner Schrift kannst Du die Schiffsbewegungen ablesen, wir rauschen wieder hart am Wind mit 7-8 kn Fahrt unserem Ziel entgegen. Eben hat uns der Ruf "Tümmler!" an Deck gelockt, die 12 - 4.00 - Wache (Guntram, Helen und Nils) hat 2 Tümmler direkt neben dem Schiff gesehen. Aber deren Neugier war wohl befriedigt, ich hoffe, dass wir solche Erlebnisse öfter haben werden..."

"Vigo, den 15.04.1992
Wir sind angekommen, wieder in einer Umgebung, die einfach überwältigend wäre, wenn nicht moderne Betonhochhäuser diesen Eindruck dämpfen würden.
Spanien empfing uns so, wie uns England verabschiedete, mit grauem, regnerischem Wetter und schlechten Sichtverhältnissen. Nach einem stundenlangen "PvD-Leinen-Anlegemanöver" lagen wir glücklich an einem Schwimmsteg in der Marina Vigos. In dieser tiefen Bucht (wieder eine Flussmündung) mit der ebenfalls über 200.000 Einwohner zählenden Stadt Bayonna und noch mehreren anderen größeren Orten gibt es viele Anlege- und vor allem Ankermöglichkeiten in tiefem Wasser. Auch hier beträgt der Tidenhub des Wassers wie in Falmouth über 3 Meter, was man natürlich beim Festmachen berücksichtigen muss. Ebbe und Flut - nun habe ich mich an dieses beeindruckende Naturschauspiel gewöhnt.
Also, Abendessen brauchte ich nicht mehr zubereiten. Heiner ist wohl extra deshalb nach Vigo gesegelt, um der Crew eine echte spanische Fischkneipe vorzuführen, die er vor Jahren hier entdeckt hatte. Wir haben sie im Straßengewirr der Altstadt wiedergefunden, die "Bar Chavolas" von Juan Gomez Garcia in der Rua dos Cesteiros.
Erst glaubte ich, in eine der übelsten Seeräuberspelunken geraten zu sein, es war aber eine der hier üblichen Garküchen für "Meeresfrüchte". Sie befand sich im Erdgeschoß eines kleinen Hauses am Anfang einer dunklen, engen und abschüssigen Gasse. Zu Mitternacht wurde diese per Wasserschlauch vom Unrat befreit! Durch die Tür kommend, erblickt man einen zweigeteilten Raum, rechts einen Tisch mit Gartenbank und kleinen Hockern für 8, links 2 Tische für je 10 Personen, aber alles auf engstem Raum, man sitzt hautnah. Links an den Wänden stehen Weinfässer, darüber willkürlich gestapelt Getränkekisten. Der Tür gegenüber, praktisch als Raumteiler, eine gemauerte Theke. An dieser vorbei gelangt man in den zweiten Raum. Auch hier stehen links 2 Tische für je 10 Gäste und rechts liegt die kleine offene Küche, das Reich zweier gut genährter, temperamentvoller Spanierinnen im reiferen Alter. Eine schlanke Dunkelhaarige serviert, und hinter der Theke hat Juan sein Reich, lebhaft und darauf bedacht, Umsatz zu machen. Stets von neuem drängelt er sich zwischen die Gäste, um einen Krug mit "Vino tinto" (wir haben uns gegenseitig unsere blauen Zungen herausgestreckt) zu füllen. Dabei macht es nichts, wenn etwas Wein beim Zapfen auf den mit Streusand bedeckten Boden tropft, da liegt sowieso aller möglicher Abfall: Kippen, Streichhölzer, zerknüllte Servietten. Genau hingucken darf man nicht, ein altersschwacher Hund und zwei Katzen streichen an den Beinen der Gäste entlang. Die Wände sind weiß getüncht und dekoriert mit Fotos und Postern berühmter Gäste (Schauspieler, Fußballmannschaften, Segelschiffcrews, z.B. der "Gorch Fock"). Beeindruckend ist die Lebendigkeit in dieser Kneipe und beeindruckend waren die leckeren Speisen - "Moriscos Variados": Gebratene Sardinen, gedünstete kleine Tintenfische, pikant gewürzte Stücke von Krakenfangarmen (Pulpo), Pfahlmuscheln in Zitronensaft, Garneelen, Krabben, Herzmuscheln. Für heute haben wir Seespinnen bestellt! Es war wirklich ein erlebnisreicher Abend. Etwas angesäuselt und beschwingt landeten wir weit nach Mitternacht wieder an Bord..."

"Lissabon, den 20.04.1992
Ich habe den ersten Bordwachdienst übernommen, von 10.00 bis 14.00 Uhr, um Dir den nächsten Etappenbrief zu schreiben, diesmal in aufrechter Lage, das Schiff schaukelt nur leicht im Schiffsschwell eines großen, lebhaften Hafens an der Mündung des Tejo. Gestern, bei einem prächtigen Sonnenuntergang beim Runden des Cabo da Roca, konnten wir im letzten Tageslicht am Cabo Raso vorbei in die große Mündungsbucht des Tejo hineinsehen. Erneut ein großartiges Bild mit den bewaldeten steilen Höhenzügen der Serra De Sintra, die bis 527 m hoch aufragen. Am nordwestlichen Ende trohnt wie ein großes Adlernest das Castelo da Pena, weithin sichtbar auf den Atlantik hinaus. Durch das Fernglas sind weitere, einfach großartig aussehende Schlösser und Kirchen auszumachen.
Und dann beim Runden des letzten Kaps - ein Lichtermeer, die Costa do Sol mit Cascais, Estoril und schließlich Lissabon. Von den Höhen im Norden wehte endlich wieder ein kräftiger Wind, der uns mit 8 - 9 kn an dieser Küste entlang in den Tejo rauschen ließ, der in der Mündung auf ca. 6 km Länge etwa 2 - 3 km breit ist und sich dann nach der 3 km langen "Golden Gate Bridge" (genauso sieht sie aus), die sich als Hängebrücke vierspurig in über 70 m Höhe an 2 mächtigen Pfeilern über den Strom hinwegschwingt, in nordöstlicher Richtung zu einem riesigen See erweitert, fast 30 km lang und zwischen 8 und 15 km breit.
Am Nordufer dieser Mündung liegt auf vielen Hügeln Lissabon. In der Nacht bot es einen überwältigenden Eindruck. Viele prachtvolle Gebäude wurden hell angestrahlt (ich habe den Eindruck, dass Lissabon für das arme Portugal ein Rennomierobjekt ist, wie Ostberlin für die DDR) und unsere Fahrt, nun mit Motor, führte uns an den Denkmälern für Vasco da Gama und Heinrich dem Seefahrer vorbei, unter der Brücke hindurch, wo man den unendlichen Autostrom durch den Gitterbelag von unten sehen konnte und dessen Fahrgeräusche wie das wütende Summen eines Hornissenschwarms klangen, hin zu den Hafenkais der Altstadt..."

"...Das spanische Vigo haben wir am 16. April um 12.30 Uhr verlassen, kurze Zeit trieb uns der alte PvD-Wappen-Spinnaker mit über 10 kn Fahrt aus der schon beschriebenen herrlichen Bucht hinaus, aber nach dem ersten "In-den-Wind-Schießen" hatten wir aufregende Minuten beim Bergen dieses Riesensegels zu überstehen. Nur unter dem Groß mit einem Reff waren wir auch nicht viel langsamer. Es segelte sich aber ruhiger, und so blies uns der Portugiesische Norder an einer sehenswerten Küste entlang. Ich kann es einfach nicht mehr mit Worten wiedergeben! Ich war wieder total happy!
In meinem Tagebuch steht, dass wir zwischen 14.00 und 14.45 Uhr einen gelungenen und zwei misslungene Spi-Setzversuche absolvierten, wir mit 12 - 13 kn Fahrt über die lange Atlantikdünung brausten, der Spi sich plötzlich aus dem Baumbeschlag (uns heute noch ein Rätsel) löste und wieder "all hands" alle Hände voll zu tun hatten, um den schließlich ausrauschenden und in der See landenden Spi zu bergen. Was uns nicht davon abhielt, ein weiteres Manöver zu trainieren, den Spi dann aber im trockenen Zustand nach einem schlimmen "Geigengang" - so nennt man das extreme Pendeln unter Spi bei achterlichem Wind, unser Windmesser zeigte oft über 30 kn Windgeschwindigkeit (also 7 Bft) an - heil herunter zu holen. Danach waren wir alle zufrieden und genossen die relativ ruhige Fahrt (weiterhin 8 - 10 kn) bei Vino tinto, Sherry und den üblichen kulinarischen Genüssen.
Knut hatte die Smutje-Rolle übernommen und hat in den vier Tagen seiner Regentschaft alle bisherigen Kochkünstler weit übertroffen. Also, bei dem oben beschriebenen "Wildwasserrennen" gab es Spagetti mit "mexikanischem Gulasch" (Dosenfleisch, Letscho, viel Gewürze, Parmesankäse), als Nachtisch Ananasquark. Einen Tag später, auf dem Abschnitt von Leixoes nach Porto, tischte er Königsberger Klopse mit Mais-Paprika-Salat und Pudding auf. Es wurde mit Annettes tatkräftiger Hilfe eine Apfeltorte (gab es mit Sahne) und ein Rührkuchen gebacken. Am 18.04., auf dem Abschnitt Porto - Lissabon, wurden eine superbe Tomaten-Creme-Suppe mit gerösteten Knoblauchbrotstücken und Kartoffelpuffer angeboten, Ostereier gefärbt und Oster-Hefeteig-Rosinen-Zöpfe mit Zuckerguss gebacken. Ostersonntag schließlich, bei flauem Wind aber herrlichem Sonnenschein, wurden Ostereier versteckt und gesucht, Osterdecken lagen auf den Salontischen, zu Mittag gab es Ragout fin mit Reis, Pfirsiche mit Vanillensoße und zum Kaffee eine Schwarzwälder Kirschtorte mit Sahne!!!

Aber auch in den Häfen gibt es leckere Dinge, dann müssen die Wachführer ran, also Doris, Guntram (hatten noch keine Gelegenheit) und Carsten. Letzterer hat in Leixóes 4 Bleche Zwiebelkuchen (Trockenhefe) gebacken, man das war ein Schmaus! Carsten, fast 30, ist Hausmann, hütet die Kinder, weil er z.Z. keine Arbeit findet.
Du siehst also, wir schwelgen, und die Stimmung ist natürlich hervorragend, auch die Hafentage sorgen für genügend Abwechslung. In Leixóes haben wir übernachtet, weil wir nach Porto bei Hochwasser und Tageslicht einlaufen mussten. Der sonst über 10 m tiefe Douro hat an seiner Mündung eine nur bei Hochwasser passierbare Sandbarre aufgetürmt und außerdem ist dieser Mündungsschlauch sehr schmal und verwinkelt. Niemand ließ das Echolot aus dem Blick und erst nach der Einfahrt überwältigte wohl jeden dieses Stadtbild, die Fotoapparate waren ununterbrochen im Einsatz.
Das alte Porto liegt, stromaufwärts gesehen, an der linken Seite des relativ schmalen Douro und erstreckt sich fast übereinander geschachtelt über mehrere steile Hügel auch in das Inland hinein. Es ist eine große alte Stadt, in derem Umkreis über 1 Mio. Menschen leben.
Diese Stadt hat eine Atmosphäre, die ist wohl einmalig. Die übereinander getürmten Häuser sind meist nur 2 oder 4 Fenster breit, ragen aber oft 5 oder 6 Stockwerke in die Höhe. Die architektonische Gestaltung ist so abwechslungsreich, dass das Auge gar nicht alle Einzelheiten erfassen kann. Ich bin wirklich hellauf begeistert, obwohl ich in diesen engen, dunklen und verwinkelten Gassen nicht leben möchte. Armut, Zerfall und Schmutz überwiegen, die Farbenpracht des sonnigen Frühlingswetters und natürlich das quirlige Leben überdeckten wohl das meiste davon.
Jetzt, nach meinem ersten ausgedehnten Bummel durch ein Stadtviertel Lissabons, brauche ich nichts von dem vorstehend Gesagten einschränken. Portos Elend war verdeckt, Lissabons Elend springt ins Auge, weil viele prächtige Gebäude diesen Unterschied deutlich werden lassen...

Mittwochmorgen wollen wir nach Gibraltar auslaufen, das wurde eben zu später Stunde von der über mir in der "Prolo-Wanne" (das Mittelcockpit) feiernden Besatzung beschlossen. Wir liegen an einem Schwimmsteg im inneren Becken des Passagierhafens in Gesellschaft mehrerer Jachten und älterer Segelschiffe, Teilnehmer der Zubringerregatta nach Cadiz zum Columbus-Race. Die "Walroß" des Berliner ASV, die "Wappen von Bremen" und die "Schlüssel von Bremen" gehören dazu. Am späten Nachmittag war hier ein Trubel wie damals 1974 zur 'Operation sail' im polnischen Gdynia. Jetzt ist der Lärm verstummt und man kann deutlich den erwähnten "Hornissenschwarm" von der nahen Hochbrücke hören..."

Nun, der Ruderschaden brachte uns vom direkten Weg nach Gibraltar und evtl. nach Tanger ab. Jedoch konnten wir in Puerto Sherry diese Havarie wesentlich schneller beheben, als zuerst vermutet, dank der Dolmetscherunterstützung durch die agile Schweizer Dame Maria, die hier auf die bekannte Maxi-Jacht "Merit" wartete. Diese war in Genua zur Zubringerregatta nach Cadiz gestartet, gemeinsam mit der letzten Whitbread-Gewinnerin, der Maxi-Jacht "Steinlager" (jetzt "Solfino"). Und, beide Jachten kamen kurz vor unserem Auslaufen am Sonnabend, den 25. April mit einem riesigen Vorsprung vor den anderen Teilnehmern in einem Minutenabstand unter Spinnaker in den Hafen gesegelt. Die Merit voran - ein "Bild für die Götter"!


In der Bucht von Trafalgar um 20.30 Uhr waren kurz Finnen und Blas von Walen zu sehen, auch eine muntere Tümmlerherde hatte uns wieder einige Minuten begleitet.
Als Erster entdeckte ich Land Stb-voraus.
Afrika! Welch ein Wort! Hatte ich etwa eine heimliche Träne in den Augen?
Dann die Lichter von Tanger, die Straße von Gibraltar! Ganz verrückt dann in der nächtlichen Stille die Filmmusik aus "Das Boot" - wir ließen uns "hindurchsacken" unter Groß und Spinnaker, bei WNW 4. Die Mannschaft war jetzt so gut getrimmt, dass ein Spi-Spi-Wechsel nicht nur einmal ineinander vollzogen wurde.
Um 03.15 Uhr lag das Lichtermeer von Gibraltar und Algeciras vor uns, und bis zum Festmachen gegen 04.00 Uhr in der Marina Gibraltar Bay tritt langsam der über 400 m hohe Felsen aus der Dunkelheit in unser Blickfeld.

Auch dieses Bild hat sich fest in meine Erinnerung eingeprägt. Nie habe ich in meinem Leben ernsthaft daran geglaubt, die "Säulen des Herakles" (Gibraltar und Ceuta) einmal erklettern zu können.
Einen ganzen Tag hatte die Mannschaft Zeit, den historischen Ort und die felsigen, mitunter halsbrecherischen Pfade zu erkunden, aus luftigen Höhen den weiten Blick hinaus auf das tatsächlich blaue Mittelmeer und hinüber zur 14 km entfernten Gebirgskette bei Ceuta zu genießen sowie die Affen zu suchen und mit ihnen Bekanntschaft zu schließen, was Guntram und mir dann, schon ziemlich erschöpft, auch gelang. Meine Kamera hat sie auf Film gebannt: den mit einer Banane angelockten Affen und den "Wegelagerer", der partout kein Verständnis dafür aufbringen wollte, dass Guntram ihm nicht den Plastebeutel überließ. Die "Kampfszene" ist "Bild"-reif!

Enttäuscht hat mich der unbeschreibliche Schmutz, die unzähligen wilden Müllkippen in den schroffen Felshängen. Nur mit Ekel badete ich im Meer und schwamm durch das glasklare, ca. 20 Grad warme Wasser, immer wieder irgendwelchen Plastebeuteln ausweichend. Auf dem Rückweg nach Cadiz, wieder in der Bucht von Trafalgar, über den vielen versunkenen Wracks vergangener Schlachten dort unten in der Tiefe, habe ich dieses Gefühl gründlich abgespült.
An einer langen Leine, im Schlepp des PvD, oft mit einem Gruseln in die von Sonnenspiralen erfüllte Tiefe nach Haien spähend (die es ja hier noch nicht geben soll!). Erneut ein persönlicher Höhepunkt dieser unvergesslichen Reise.

Ein weiterer bot sich der Crew auf der Reede und im Hafen von Cadiz. Die ersten stolzen Windjammer wiegten sich vor Anker, in der Abendsonne badend. Als am Mittwochmorgen Ansgar uns (Carsten und mich) mit einem Mietauto nach Sevilla zum Flughafen brachte, zählte ich 17 Rahsegler, die in der Sonne um den Schönheitstitel buhlten.

Noch erfüllt von den Genüssen des Kapitänsdinners am Vorabend:

  1. Aperitif,
  2. Spargelcremesuppe,
  3. Garneelen auf bunter Platte mit Toast,
  4. gebr. Thunfisch mit Petersilienkartoffeln und grünem Salat,
  5. Käseplatte,
  6. Banane in weißer Schokolade,
  7. Mokka,
  8. Cognac,

der netten Unterhaltung bei gedämpfter Musik aus der Quadro-Anlage des PvD und einer lauschigen "Sommer"-nacht in dieser Kulisse, tat der Abschied vom Peter und der zurückbleibenden Mannschaft richtig weh!

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